Die linke Mehrheit
Kaum spricht Jürgen Trittin einmal von den Möglichkeiten eines rot-rot-grünen Bündnisses, schlägt ihm schon der Wind aus der Grünen-Spitze entgegen. Und erst recht versucht SPD-Chef Beck, ein linkes Dreierbündnis als unmöglich darzustellen. Was ist das Problem der etablierten (bürgerlichen) Linken mit der neuen "Linkspartei"? Stecken wirklich "nur" inhaltliche Divergenzen dahinter (Agenda-Politik, Auslandseinsätze der Bundeswehr)? Für viele Positionen der "Linken" scheint es auch bei der Basis von SPD und Grünen Mehrheiten zu geben - was deren führenden Politikern oft natürlich gar nicht passt.
Aber das Problem sitzt tiefer: es ist das einer grundlegenden Spaltung zwischen einer radikalen und einer reformorientierten Linken, das die deutsche Politik spätestens seit dem 1. Weltkrieg kennt. Für eine reformorientierte Politik, die das Land von innen heraus (also über das Parlament) und nicht über eine gewaltsame Revolution verändern wollte, hatten sich die Sozialdemokraten schon im späten 19. Jahrhundert ausgesprochen. Doch 1914 brach die SPD mit der Politik der II. (Sozialistischen) Internationale - die den Krieg als Fortsetzung eines bürgerlichen Imperialismus kritisiert hatte, gegen den die Sozialisten aller Länder ursprünglich vereint kämpfen wollten. Die SPD (wie viele andere sozialistische oder sozialdemokratische Parteien in Europa) brach mit diesem internationalen Prinzip und liess sich von Wilhelm II., Kanzler Bethmann-Hollweg und den bürgerlichen Parteien in eine Politik des nationalen "Burgfriedens" einbinden. Einige Kriegsgegner scherten deswegen aus der SPD aus und gründeten 1917 die USPD, die ab nach 1920 mehr oder weniger in der neu gegründeten KPD aufging. Hier war also der Grundstein für einen linken Dualismus gelegt, der vielleicht politisch unvermeidlich, jedoch für die Stabilität der Weimarer Republik nicht gerade förderlich war.
Die SPD reagierte seit jeher beleidigt gegenüber Linksabweichlern. Und auch die um 1930 stark stalinistisch beeinflussten Kommunisten waren nicht wirklich auf Versöhnung aus, wenn sie den Sozialdemokraten wegen ihrer Distanz gegenüber Moskau "Sozialfaschismus" vorwarfen. Nach dem 2. Weltkrieg fand in Ostdeutschland tatsächlich eine Versöhnung von SPD und KPD zur SED statt - aber eine erpresste Versöhnung unter dem Zwang der UdSSR. Im Westen hingegen lehnten 83% der SPD-Mitglieder eine Integration der KPD in die eigene Partei ab. Die KPD wurde 1956 sogar verboten und nach einer Neugründung als DKP (1968) frisstete sie ein Dasein als unbedeutende Splitterpartei neben anderen. Gegenwind von links bekam die SPD in den 80er Jahren hingegen von der neuen Partei der Grünen. Hier wurden jedoch die zunächst gemiedenen Fundis bald zur parlamentarischen Reformarbeit und zum begehrten Koalitionspartner der Sozialdemokratie gezähmt. Die Regierungsverantwortung im Bund bescherte neue Herausforderungen und stellte (wie schon 1914) erneut die Frage, wie viele Zugeständnisse eine sich als "links" verstehende Partei ihren Wählern abverlangen darf. Rot-Grün stolperte deswegen über ihre eigene Sozialagenda und Auslandseinsätze der Bundeswehr (in Jugoslawien und Afghanistan), die in der eigenen Wählerschaft als unzumutbar und als Ausverkauf der eigenen Identität empfunden wurden.
Im Abseits hatte sich die ehemalige SED zur PDS reformiert und fusionierte nun mit unzufriedenen Sozialdemokraten zur "Linkspartei". Im Grunde ist die jetzige Situation also vergleichbar mit der Spaltung von SPD und USPD ab 1917, bzw. von SPD und KPD ab 1919. Allerdings ist die "Linke" weniger dogmatisch als die KPD, sie akzeptiert den Parlamentarismus und ist reformorientiert (im traditionellen Sinne). Sie ist nun als fünfte Kraft in Bund und Ländern etabliert - doch wird sie von den Links-Bürgerlichen immer noch gemieden.
SPD und Grüne sollten nicht nur Realismus zeigen (da sie nur mit der Linkspartei zusammen regieren können - wenn sie nicht gerade die FDP bevorzugen), sondern auch das Interesse an einer Integration radikalerer Positionen haben. Auch SPD und Grüne dürfen sich in ihrem Reformwillen nicht zu weit nach rechts bewegen, denn dadurch verursachen sie nur weitere Spaltungen des linken Lagers (eine alte Neigung). Gelingt aber die Integration der "Linken", so ist die Politik einer linken Mehrheit in Deutschland möglich.
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