Der Fremde und die Einheit
An einer Stelle in Dostojewskis "Die Brüder Karamasoff" (2. Teil, Buch 2d), in den Lebenserinnerungen des Mönches Sosima, berichtet dieser (durch die Feder Aleschas vermittelt) von dem Besuch eines geheimnisvollen Fremden in seinen Jugendjahren. Der Fremde erzählte u.a. von einer menschlichen Vereinigung und berührt damit einen Punkt, der auch 130 Jahre nach Dostojewskis Roman für das Zeitalter der "Globalisierung" von Aktualität ist:
"[...] Ein jeder strebt ja heute danach, seine Persönlichkeit möglichst abzusondern, jeder will in sich selber die ganze Fülle des Lebens erfahren, und dabei ist das Ergebnis aus allen seinen Anstrengungen nicht die Fülle des Lebens, sondern fragloser Selbstmord. Denn statt völlige Entfaltung ihres Lebens zu erlangen, verfallen sie in totale Vereinsamung. In unserem Jahrhundert zieht sich ein jeder in seine Höhle zurück, jeder entfernt sich von dem andern, verbirgt sich selber und was er besitzt, und endet damit, daß er selber von den Menschen zurückgestoßen wird und selber die Menschen von sich zurückstößt. Er sammelt für sich, in Einsamkeit lebend, Reichtümer und denkt: 'Wie mächtig bin ich jetzt, und wie bin ich vor Mangel geschützt!' Er weiß aber nicht, der Tor, daß, je mehr er Reichtümer ansammelt, er nur um so tiefer in die selbstmörderische Kraftlosigkeit versinkt. Denn er gewöhnte sich ja daran, auf sich allein alle Hoffnungen zu setzen: Von dem Ganzen sonderte er sich ab als Einzelwesen, er gewöhnte seine Seele daran, nicht an die Hilfe von Menschen zu glauben, nicht an die Menschen und an die Menschheit, und nur darum zu zittern, sein Geld und die von ihm erworbenen Rechte möchten verfallen. Allüberall beginnt jetzt der Menschengeist in lächerleicher Weise zu verkennen, daß die tatsächliche Sicherstellung der Person nicht in ihrer vereinzelten persönlichen Anstrengung sich gründen kann, vielmehr nur in der Einheit aller Menschen."
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