Am Anfang des 21. Jahrhunderts

Dienstag, Februar 27, 2007

Reinhard Loske und die Überwindung des Konsumismus

Reinhard Loske von den Grünen hat in der heutigen taz (S. 12) einen Artikel veröffentlicht, in dem er fordert, "den Konsumismus zu überlisten", um endlich einen neuen ökologisch und sozial gerechten Lebensstil zu entwickeln:


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Ob die bloßen Zahlen der Klimaforscher, und seien sie noch so erschreckend, die Menschheit zur Umkehr bewegen, ist freilich eine offene Frage. Zweifel sind angebracht. Fjodor Dostojewski hat die Schwäche rein quantitativer Ziele in seinen "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch" bereits 1864 wunderbar aufgespießt. "Was ist denn das für ein Vergnügen, wenn alles schon auf der Tabelle ausgerechnet ist?", lässt er dort seinen Protagonisten sagen. Der nämlich zweifelt am Regiment der Wissenschaft und sieht eine furchtbar langweilige, dafür aber ungemein vernünftige Gesellschaft heraufziehen, keine wirklich aufregende Perspektive.

Die empirische Wissenschaft kann uns helfen, den Klimawandel zu verstehen. Sie kann uns die Leitplanken nennen, innerhalb derer wir uns zu bewegen haben, um den Absturz zu vermeiden. Aber sie kann uns keine Hinweise geben, wie wir den sozialen Prozess gestalten können, der uns vom Pfad der Selbstzerstörung abbringt und in sicheres Gelände führt. Dafür brauchen wir gesellschaftliche Fantasie, politischen Handlungswillen und echte Veränderungsbereitschaft.

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Alle Windräder, Holzpelletheizungen und Hybridautos werden uns aber nicht retten, wenn wir uns länger um die Lebensstilfrage herumdrücken. Da gibt es eine natürliche Scheu, die verständlich ist, gerade bei Politikern, die den Vorwurf der Verzichtspredigt scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Aber der Konsumismus, also das Anhäufen von Gütern als Substitut für Sinn, ist heute der größte Feind des Klimaschutzes. Deshalb ist es eine Kulturaufgabe erster Ordnung, die Rückkehr zum menschlichen Maß zu befördern.

Ohne eine Vorstellung von nachhaltigen Lebensstilen und einer guten Gesellschaft jedenfalls läuft der Klimaschutz Gefahr, technokratisch zu werden. Dabei wird man nicht ohne weiteres an der "alten" Konsumkritik von Erich Fromm oder Rudolf Bahro ansetzen können. Der moderne Kapitalismus ist intelligent und raffiniert; seine Fantasie ist grenzenlos. So wie er Natursehnsucht in Outdoor-Kleidung und Geländewagen transformiert, so verwandelt er Konsumkritik in zerschlissene Hosen, coole T-Shirts und Buchbestseller. Den Konsumismus zu überlisten heißt Maßhalten mit Lebensfreude, Verzicht mit Genuss, weniger mit mehr, Askese mit Selbstentdeckung zu verbinden, um Mut zu machen und zur Nachahmung anzuregen. Bei der Pluralität unserer Gesellschaft wird das nicht zum Einheitslebensstil führen, sondern zu einer Vielfalt von Lebensstilen, die aber allesamt klimaverträglicher sein würden.

Freilich gilt es eine wichtige Einschränkung zu machen: Wenn Verzicht für die Reichen lediglich hieße, ihren Off-Roader in der Fastenzeit am Sonntag stehen zu lassen, während er für die Armen die Kürzung der Hartz-IV-Leistungen von 345 Euro pro Monat auf 300 Euro bedeutete, wäre ein solcher Ansatz ohne Aussicht auf breite gesellschaftliche Zustimmung. Die Chance, maßvollen Lebensstilen zum Durchbruch zu verhelfen, steigt mit der gesellschaftlichen Gerechtigkeit, national wie international. Das Grundeinkommen für jede und jeden könnte die Brücke sein, um übermäßigen Wachstumsdruck von der Gesellschaft zu nehmen. Es ist an der Zeit, die ökologische und die soziale Frage endlich zusammenzudenken.

Freitag, Februar 23, 2007

Forderungen an die EU

1. Europa muss sich als soziale Union konstituieren. Mit sozialen Standards, die ein würdiges Leben für alle Bürger garantieren.

2. Europa muss in der Umweltpolitik konsequent zu seiner Vorreiterrolle stehen. Das bedeutet: ehrgeizige Ziele an sich selbst stellen, denn nur so ist es glaubwürdig und kann auch andere von diesem Weg überzeugen. Klimaschutz darf sich nicht nach den partikularen Interessen bestimmter Firmen richten, sondern umgekehrt: Die Wirtschaft muss in die Verantwortung genommen werden! Der Spielraum erneuerbarer Energien muss ausgeschöpft und gleichzeitig Energie eingespart werden.

3. Europa muss noch mehr und v.a. konsequenter und ehrlicher als bisher eine auf Frieden und Dialog in der Welt setzende Macht werden, die ihr diplomatisches (und wirtschaftliches) Gewicht einsetzt, um militärische Konfrontationen zu vermeiden. Die Doppelmoral muss aufhören, Vasallentum aus Energieabhängigkeit muss aufhören (s. Punkt 2).

4. Wenn Europa für seine eigenen als universell verstandenen Prinzipien (Aufklärung, Säkularisierung, Demokratie, Rechtsstaat etc.), als jenseits einer bestimmten kulturellen Herkunft stehende, werben möchte, muss es die Prinzipien der Freiheit und Gleichheit nicht nur predigen, sondern vorleben.

5. Das bedeutet einerseits eine verstärkt selbstkritische Blickrichtung: Kolonialismus, Imperialismus, Rassismus, Kulturchauvinismus etc. in der eigenen Geschichte müssen realisiert und kritisiert werden. Daraus die Folgen zu ziehen, bedeutet auch mit den "Anderen" (den ehemals Kolonialisierten) dieser Geschichte in einen neuen umfassenden Dialog (Polylog) zu treten. Es bedeutet also, Verantwortwortung für die eigene Geschichte zu übernehmen, was nicht lediglich moralische oder juristische Verantwortung meint, sondern v.a. in der Einsicht münden muss, dass "wir" und "die Anderen" - Europäer und Nicht-Europäer - nun eine gemeinsame Geschichte haben, das wir untrennbar mit einander verbunden und für einander und vor einander verantwortlich sind.

6. Wenn Europa sich seiner Verantwortung und seinen eigenen humanistischen Werten stellt, kann es moralisches Kapital zurückgewinnen, das es einst als imperiale Wirtschaftsmacht verspielt hat. Dann könnte Europa wieder zu sich selbst finden.

Samstag, Februar 17, 2007

Der Fremde und die Einheit

An einer Stelle in Dostojewskis "Die Brüder Karamasoff" (2. Teil, Buch 2d), in den Lebenserinnerungen des Mönches Sosima, berichtet dieser (durch die Feder Aleschas vermittelt) von dem Besuch eines geheimnisvollen Fremden in seinen Jugendjahren. Der Fremde erzählte u.a. von einer menschlichen Vereinigung und berührt damit einen Punkt, der auch 130 Jahre nach Dostojewskis Roman für das Zeitalter der "Globalisierung" von Aktualität ist:

"[...] Ein jeder strebt ja heute danach, seine Persönlichkeit möglichst abzusondern, jeder will in sich selber die ganze Fülle des Lebens erfahren, und dabei ist das Ergebnis aus allen seinen Anstrengungen nicht die Fülle des Lebens, sondern fragloser Selbstmord. Denn statt völlige Entfaltung ihres Lebens zu erlangen, verfallen sie in totale Vereinsamung. In unserem Jahrhundert zieht sich ein jeder in seine Höhle zurück, jeder entfernt sich von dem andern, verbirgt sich selber und was er besitzt, und endet damit, daß er selber von den Menschen zurückgestoßen wird und selber die Menschen von sich zurückstößt. Er sammelt für sich, in Einsamkeit lebend, Reichtümer und denkt: 'Wie mächtig bin ich jetzt, und wie bin ich vor Mangel geschützt!' Er weiß aber nicht, der Tor, daß, je mehr er Reichtümer ansammelt, er nur um so tiefer in die selbstmörderische Kraftlosigkeit versinkt. Denn er gewöhnte sich ja daran, auf sich allein alle Hoffnungen zu setzen: Von dem Ganzen sonderte er sich ab als Einzelwesen, er gewöhnte seine Seele daran, nicht an die Hilfe von Menschen zu glauben, nicht an die Menschen und an die Menschheit, und nur darum zu zittern, sein Geld und die von ihm erworbenen Rechte möchten verfallen. Allüberall beginnt jetzt der Menschengeist in lächerleicher Weise zu verkennen, daß die tatsächliche Sicherstellung der Person nicht in ihrer vereinzelten persönlichen Anstrengung sich gründen kann, vielmehr nur in der Einheit aller Menschen."