Am Anfang des 21. Jahrhunderts

Dienstag, Mai 26, 2009

Geschichte wird gemacht (taz, 25.05.09)

Nach den Enthüllungen über den Todesschützen vom 2. Juni 1967 versuchen Konservative, die Geschichte der Studentenbewegung umzudeuten. VON CHRISTIAN SEMLER

BERLIN | taz Der Polizeibeamte Karl-Heinz Kurras, der Benno Ohnesorg erschoss, hatte in seinen Prozessen wegen fahrlässiger Tötung Ende der Sechzigerjahre Verbündete, allen voran Springers Bild-Zeitung. Sein vorbildlicher Einsatz, hieß es, sei leider in einem von ihm nicht verschuldeten Unglücksfall geendet.

Wie schnell aus aufrechten Verteidigern der Freiheit gedungene Mörder werden - denn jetzt, nachdem Kurras Tätigkeit als IM der Staatssicherheit aufgeflogen ist, wird er zum Auftragsmörder, der gehorsam den Befehlen aus der Stasi-Zentrale folgte. In derselben Bild-Zeitung, die damals eine furchterregende Kampagne gegen die revoltierende Studenten führte, ist jetzt zu hören: "Unruhen und brennende Barrikaden, ja selbst der Tod von Rudi Dutschke haben ihren Ursprung direkt im Auftragsbereich von Erich Mielke, dem Stasi-Minister der SED (heute Linkspartei)." Man kann den delirierenden Autor Hans-Hermann Tiedje nicht unter der Rubrik "Berliner Absonderlichkeiten" verbuchen. Vielmehr geht es hier um ein groß angelegtes Manöver der historischen Mystifikation. Indem die Stasi - ohne jedes Indiz - zum Täter gemacht wird, kann die Verantwortung der Westberliner Eliten für den 2. Juni 1967 beiseitegedrückt werden.

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