Am Anfang des 21. Jahrhunderts

Dienstag, Mai 26, 2009

Stern-Artikel über das "System Berlusconi" (26.05.09)

" [...]

Interessanterweise ist der größte Kritiker des "Systems Berlusconi" seit mehr als 30 Jahren tot. Pier Paolo Pasolini, visionärer Schriftsteller und Regisseur, prophezeite den Italienern bereits Mitte der siebziger Jahren ein System, das durch mediale Vermassung, blinde Vergnügungssucht und eine neue Art Diktatur charakterisiert sein würde, die totalitärer als der Faschismus sein würde. Italien, das für Pasolini viel zu schnell industrialisiert und ohne echte demokratische Reformen in das Industriezeitalter kapituliert worden war, würde sowohl seine kommunistischen, agrarischen Wurzeln als auch seine konservativen, katholischen Werte verlieren. Die "Macht ohne Gesicht", eine Kaste aus Politikern und Industriellen, "will ein Italien, in dem nichts die Massen daran hindern kann, zu konsumieren, ein Italien des 'Fortschritts', das lediglich jede authentische Kultur und jede authentische Kritik auslöscht."

[...]"

Geschichte wird gemacht (taz, 25.05.09)

Nach den Enthüllungen über den Todesschützen vom 2. Juni 1967 versuchen Konservative, die Geschichte der Studentenbewegung umzudeuten. VON CHRISTIAN SEMLER

BERLIN | taz Der Polizeibeamte Karl-Heinz Kurras, der Benno Ohnesorg erschoss, hatte in seinen Prozessen wegen fahrlässiger Tötung Ende der Sechzigerjahre Verbündete, allen voran Springers Bild-Zeitung. Sein vorbildlicher Einsatz, hieß es, sei leider in einem von ihm nicht verschuldeten Unglücksfall geendet.

Wie schnell aus aufrechten Verteidigern der Freiheit gedungene Mörder werden - denn jetzt, nachdem Kurras Tätigkeit als IM der Staatssicherheit aufgeflogen ist, wird er zum Auftragsmörder, der gehorsam den Befehlen aus der Stasi-Zentrale folgte. In derselben Bild-Zeitung, die damals eine furchterregende Kampagne gegen die revoltierende Studenten führte, ist jetzt zu hören: "Unruhen und brennende Barrikaden, ja selbst der Tod von Rudi Dutschke haben ihren Ursprung direkt im Auftragsbereich von Erich Mielke, dem Stasi-Minister der SED (heute Linkspartei)." Man kann den delirierenden Autor Hans-Hermann Tiedje nicht unter der Rubrik "Berliner Absonderlichkeiten" verbuchen. Vielmehr geht es hier um ein groß angelegtes Manöver der historischen Mystifikation. Indem die Stasi - ohne jedes Indiz - zum Täter gemacht wird, kann die Verantwortung der Westberliner Eliten für den 2. Juni 1967 beiseitegedrückt werden.

[...]