Am Anfang des 21. Jahrhunderts

Dienstag, Juni 24, 2008

Was für ein Europa wollen wir?

Nicht nur die Franzosen und Niederländer haben gegen den europäischen Verfassungsvertrag abgestimmt, sondern kürzlich auch die Iren. Ein Grund mehr zu fragen, was für ein Europa wir eigentlich wollen und wofür eine politische Europäische Union eigentlich steht oder stehen sollte.

Abgelehnt wird die EU sicherlich von Konservativen und Nationalisten, denen die liberalen Reformen und die Brüsseler Richtlinien zu weit gehen. Wir sollten uns aber an die Fortschrittlichkeit der EU halten, ihre postnationale Struktur und liberale Freizüggigkeit. Doch diese Freizügigigkeit gelangt schnell an ihre Grenzen - an jene der "Festung Europa", in welche afrikanische Flüchtlinge immer aufs Neue Einlass begehren und so oft vor deren Mauern Schiffbruch erleiden.
Der europäische Wirtschaftsliberalismus lockert nicht nur die Grenzen innerhalb der eigenen Union, er transportiert auch ökonomische Macht nach außen, reproduziert neoliberale Strukturen in anderen Kontinenten. Nicht zuletzt die riesigen iberischen Trawler, welche die westafrikanischen Küsten leer fischen, sind Schuld an der wirtschaftlichen Misere von senegalesischen Fischern; die sich wiederum, um ihrer Armut zu entfliehen, nach Melilla aufmachen, nur um vor den dortigen Toren der Festung zu scheitern.
Südamerikanische Staaten haben unlängst zu Recht gegen die Diskriminierung von Flüchtlingen und eine verschärfte Abschiebungspolitik protestiert und drohen mit wirtschaftlichen Sanktionen (z.B. der venezolanische Öllieferboykott) gegen die EU (ansonsten ist dies ja eher ein Mittel, dessen sich diese selbst bedient, wie etwa im Falle des Irans).

Ist Europa also lediglich ein neoliberales Imperium, das sich festungsartig nach außen abschottet, ängstlich darauf bedacht, den eigenen Wohlstand zur Not auch militärisch zu sichern?

Doch wir müssen Europa als Chance begreifen. Dafür bedarf es allerdings mehr Demokratie und mehr Partizipation der Bürger. Wir müssen Europa von unten aus gestalten und es nicht den eingessenen Eliten und Wirtschaftskonzernen überlassen. Die EU kann dann Vorreiter sein für eine soziale, ökologische und demokratische Entwicklung und hierin auch entscheidende globale Wirkung entfalten.

Widerspricht aber diese schöne Idee von Europa nicht der neoliberalen, militaristischen Wirklichkeit? Man darf natürlich auch nicht die Existenz der konservativen Gegner dieses Modells verleugnen. Umso mehr bedarf es einer aktiven politischen Gestaltung der EU, der Auseinandersetzung mit der Frage der Verfassung. Wir dürfen nicht glauben, nur die Wahl zwischen einem altmodischen Nationalismus und dem Modell Merkel/Sarkozy zu haben. Vielmehr geht es um die Fundamente und die grundlegende Orientierung der EU.

Zu einer solche Reflexion fehlt es den Staatschefs anscheinend an Geduld, wie auch die Kanzlerin unlängst erklärte, dass wir uns einen erneuten Aufschub des Verfassungsprozesses nicht leisten könnten. Warum aber eigentlich nicht? Die nationalen Verfassungsbewegungen haben oft den Anlauf von Jahrzehnten gebraucht, warum sollte man es jetzt mit der europäischen Verfassung übereilen? Besser auf die Dauer eine gute und demokratisch legitimierte Verfassung, als auf der Stelle eine schlechte und von oben oktroyierte.

Freitag, Juni 20, 2008

Christoph Bertram über amerikanische Kriegspläne

Kann es sein, dass die neokonservativen Hardliner in USA und Israel wirklich ins Auge fassen, in Kürze den Iran anzugreifen - und das noch vor Beendigung von Bushs Präsidentschaft? So verrückt und irrational das angesichts des Desasters im Irak klingen mag, ausgeschlossen ist es nicht, wie u.a. Christoph Bertram in der Zeit (25/2008) berichtet.

Besser, als die iranischen "Gefahren" hinauf zu beschwören, wäre es hingegen, den Iran ins Boot der internationalen Gemeinschaft zu holen und langfristig durch Diplomatie und Austausch eine wechselseitige Annäherung zu erreichen. Auch wenn das mit der gegenwärtigen iranischen Regierung nur schwer vorstellbar erscheint: sie repräsentiert nur eine Minderheit der iranischen Gesellschaft, die jenseits der Atomfrage und martialischer Rhetorik ihr Kapital verspielt zu haben scheint. Es werden bessere Zeiten kommen!

Angriff zum Schutz der Uno?

Iran weigert sich beharrlich, im Atomstreit den Forderungen des UN-Sicherheitsrats nachzukommen. Die Regierung Bush könnte das als Kriegsgrund nehmen

In Berlin gibt es immer noch erstzunehmende Leute, die die Mitwirkung der Bundesrepublik an weiteren Sanktionen gegen Iran damit begründen, dass Amerika auf diese Weise in diplomatische Bemühungen eingebunden und Präsident Bush von einem Militärschlag gegen Teheran abgehalten worden wäre. Nun jedoch könnte umgekehrt aus weiteren Sanktionen ein Vorwand für Bush werden, in seinen letzten Amtsmonaten doch noch gegen Iran zuzuschlagen. Jenes Land, das er als größte Bedrohung für die Vereinigten Staaten ausgemacht hat.

Gerade fordern wieder einmal Amerika und in seinem Kielwasser die EU-Staaten von Iran, als Vorleistung jeglicher Verhandlungen die Anreicherung von Uran einzustellen. Wieder einmal wird im Verweigerungsfall mit neuen Sanktionen gedroht, wieder einmal fährt EU-Repräsentant Solana nach Teheran und kommt mit leeren Händen und hoffnungsvollen Sprüchen zurück. Und wieder einmal weist Iran die gewünschte Suspendierung seiner Urananreicherung als inakzeptabel zurück.

Fast könnte das inzwischen vertraute Ritual im Streit um das iranische Atomprogramm wie eine zwar nutzlose, aber unschädliche diplomatische Pflichtübung erscheinen. Nur leider ist George W. Bush noch sieben Monate im Amt. Und je höher die Chance ist, dass mit Obama ein Demokrat in das Weiße Haus einziehen könnte, desto größer wird für die Republikaner die Versuchung, wie schon bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen, den Wählern eine existenzielle Bedrohung amerikanischer Sicherheit vorzuspiegeln, der nur ein martialischer Kandidat der Republikaner gewachsen sei.

[...]