Am Anfang des 21. Jahrhunderts

Mittwoch, Februar 10, 2010

Artikel "Mehr Ignorieren wagen"

Sehr schön! Omid Nouripur spricht mir aus der Seele (Artikel aus der Welt vom 9.2.2010):

Gastkommentar: Das iranische Atomtheater
Mehr Ignorieren wagen
Von Omid Nouripour 9. Februar 2010

Komödien kommen auf dem Theater immer wieder gut an, auch wenn die Bühne die Münchner Sicherheitskonferenz ist, und das Publikum hochrangige und hoch bezahlte Sicherheitsexperten aus der ganzen Welt sind: Bereitwillig ließen sie sich letztes Wochenende von den drängenden Fragen der internationalen Sicherheitspolitik ablenken, um aufmerksam, leider aber ohne das mindeste Schmunzeln, den Verlautbarungen des iranischen Außenministers zu lauschen. Aber Distanz zum iranischen Atomtheater täte not, und es wäre gut, die Farce als solche zu begreifen.

Am Donnerstag begeht der Iran den 31. Jahrestag der Islamischen Revolution, und die Opposition wird den Tag dazu nutzen, ihre Anliegen lautstark vorzubringen - eine Eskalation der Gewalt ist leider nicht auszuschließen. Doch die Debatte in der internationalen Gemeinschaft und auch in Deutschland beschränkt sich auf die Exegese der Atomfrage und übersieht, dass es sich beim rituellen Einlenken und Zurückrudern der iranischen Regierung vor allem um ein Ablenkungsmanöver eines geschwächten Präsidenten handelt. Es ist an der Zeit, dieses Spektakel ignorieren zu wagen und einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Dabei sollten uns drei Dinge auffallen:

1. Die Lage der Menschenrechte und die Atomfrage sind im Iran nicht voneinander zu trennen. Die Regierung Ahmadinedschad hat spätestens seit den gefälschten Parlamentswahlen vom 12. Juni 2009 das Vertrauen der Bevölkerung verloren. Die Oppositionsbewegung ernst zu nehmen ist ein wichtiger Beitrag, die Regierung zu schwächen. Die Menschenrechtsfrage ist die Achillesferse des Systems.

2. Wir müssen Ahmadinedschad als einen geschwächten Präsidenten begreifen: Seine Landsleute vertrauen ihm nicht, sein Land liegt wirtschaftlich danieder, und letztlich hat nicht er, sondern der Revolutionsführer Chamenei die Entscheidungsgewalt in Atomfragen.

3. Wir müssen die Strukturen der internationalen Verhandlungsführung, die Fünf-plus-eins-Runde, überdenken. Fühlt sich China von einer möglichen iranischen Atombombe überhaupt bedroht, und möchte Russland nicht viel lieber über die Aufteilung des Kaspischen Meeres diskutieren? Wenn wir effektiv gegen das iranische Atomprogramm und für die Menschenrechte handeln wollen, dann gehören andere Partner mit an den Tisch, etwa Irans Nachbarländer Türkei oder Aserbaidschan, die direkt bedroht sind, oder die Vereinigten Arabischen Emirate, die Sanktionen gegen den Iran durch blühenden indirekten Handel unterlaufen.

Der Autor ist sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion