OSZE statt NATO
Hier ein (gekürzter) Kommentar von Andreas Zumach zum Georgien-Konflikt (taz, 15.8.2008):
Der Konflikt mit Russland ist Teil eines globalen Kampfs um Öl und Gas.
Gemeinsames Haus in Flammen
KOMMENTAR VON ANDREAS ZUMACH
Mit seinem militärischen Vorgehen in und gegen Georgien hat Russland eindeutig gegen die UNO-Charta und das humanitäre Völkerrecht verstoßen. Doch so notwendig diese Feststellung auch ist: angesichts der realen Machtverhältnisse wirkt die Verurteilung Moskaus hilflos - und aus dem Mund so mancher PolitikerInnen und Intellektueller in westlichen Hauptstädten wie Washington, Paris und Berlin, aber auch in Warschau oder Vilnius klingt sie auch scheinheilig und verlogen. Immerhin trägt man dort eine erhebliche Mitverantwortung für die Eskalation, die zu dem heißen Krieg auf dem Kaukasus geführt hat.
Am Drehbuch für diesen Krieg wird bereits seit Anfang der Neunzigerjahre geschrieben. Damals, nach dem Zerfall des Warschauer Pakts und der Sowjetunion, nahm der Westen zwar vorübergehend die Vision des sowjetischen Reformpräsidenten Michail Gorbatschow vom "gemeinsamen Haus Europa" auf. Die "Konferenz/Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit" (K/OSZE) solle zum "Herzstück der europäischen Architektur werden" hieß es in der "Charta für ein neues Europa", die 1990 in Paris von den Staats-und Regierungschefs aller 54 Mitgliedsstaaten der KSZE feierlich verabschiedet wurde. Doch es blieb bei der Rhetorik.
Tatsächlich haben die westlichen Regierungen seitdem systematisch die Nato gestärkt und sie nach Osten bis an die Grenzen Russlands ausgedehnt, während sie die OSZE verkommen ließen. Statt Moskau mittels OSZE mit allen dort vereinbarten Rechten und Pflichten in Europa einzubinden, wurde das Land im Nato-Russland-Rat mit einer Statistenrolle abgespeist. Mit der völkerrechtswidrigen Anerkennung des Kosovo haben die USA und EU einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen, der die Glaubwürdigkeit ihrer Kritik an Russlands Unterstützung für die abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien untergräbt. Und das "Raketenabwehrprojekt" in der Nähe zur russischen Westgrenze, auf das sich die USA und Polen am Donnerstag endgültig einigten und das von der Nato ausdrücklich unterstützt wird, setzt die Provokation Moskaus weiter fort.
Der Konflikt um die georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien und die Rechte der dort lebenden Minderheiten wäre längst gelöst, wäre er nicht Teil eines großen Energiepokers zwischen den USA, Russland und der EU im Kaspischen Becken und in Zentralasien. Dieser Poker begann, als sich die großen Ölkonzerne der USA nach dem Ende der Sowjetunion weitreichende Zugriffs- und Erschließungsrechte an den Öl- und Gasreserven in den zentralasiatischen Ex-Republiken der UdSSR sicherten [...].
Bleibt der Westen bei seiner Energiepolitik, werden dem Krieg in Georgien in den nächsten Jahren weitere heiße Kriege im Kaukasus oder Zentralasien folgen. USA, Nato und EU werden einem mächtigen Russland dann ähnlich hilflos, gespalten und handlungsunfähig gegenüberstehen wie jetzt.
Verändern lässt sich das nur, wenn sich der Westen so schnell wie möglich aus seiner sklavischen Abhängigkeit von Öl und Gas befreit, indem er die Energieeffizienz deutlich erhöht, den Pro-Kopf-Verbrauch an Energie drastisch reduziert und vor allem in weit größerem Ausmaß als bisher auf Sonne, Wind und andere erneuerbare und umweltfreundliche Energieträger umschaltet. Eine sinkende Nachfrage nach Öl und Gas würde nicht nur Russlands derzeitige Macht wieder relativieren. Sie würde das Land auch dazu nötigen, die eigene Wirtschaft und den Export zu diversifizieren, und die Macht der staatlichen Energiekonzerne, die innergesellschaftlich höchst problematisch ist, schwächen. Das würde auch die Bedingungen für eine Entwicklung Russlands zu mehr Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verbessern.